15. November 2019
Reichstädt ist eine von 500 Gemeinden, die von der Thüringer Netkom ans schnelle Internet angeschlossen wird. Der Leidensdruck ohne DSL ist bei den Einwohnern hoch.
Der Begriff ISDN ist für die meisten heute ähnlich wie das Modem und die Diskette ein Begriff aus der Technik-Geschichte. Die Abschaltung des deutschen ISDN-Netzes ist in Zeiten von DSL und hohen Datenraten kaum eine Randnotiz wert. Als die Einwohner von Reichstädt Anfang 2019 jedoch die Nachricht erhielten, dass beim ISDN endgültig der Stecker gezogen wird, war das vor allem für die Gewerbetreibenden ein Schock: Reichstädt war bis zu diesem Zeitpunkt nicht ans schnelle DSL-Netz angeschlossen.
Bertram Bölkow/TEAG
Wenn der E-Mail-Versand zum Glücksspiel wird
„Mit dieser Nachricht wurden wir praktisch in die Steinzeit zurückversetzt“, erinnert sich Marcel Beier, der im Ort eine Tischlerei betreibt. Dass sich Internetseiten nicht aufbauten und Mails nie verschickt wurden, daran hatten sich die Reichstädter inzwischen gewöhnt. Auch mit dem Umstand, dass die Teilnahme an Ausschreibungen oder das Übermitteln von Fotos und Dokumenten ein Geduldsspiel war, hatten sich die Gewerbetreibenden notdürftig arrangiert. So hatten sich die einfallsreichen Reichstädter mit einem Richtfunksystem und Surfen über das Handynetz beholfen. Ein echter Ersatz für schnelles Internet über Glasfaserkabel war das jedoch nie.
„Dass wir vom Internet derart abgehängt waren, konnten wir einfach nicht mehr hinnehmen“, erklärt Bürgermeister Henryk Mäder. „Ich arbeite selbst viel im Home-Office und weiß, wie problematisch das ist. Im Prinzip wurden wir im Jahr 2019 in einen Zustand wie Anfang der 1990er-Jahre zurückversetzt.“ DSL gehöre heute zu Häusern wie der Wasser- und Stromanschluss. Die mangelnde Internetversorgung habe sich sogar auf den Immobilienmarkt im Ort ausgewirkt: Häuser konnten nicht verkauft werden, weil der fehlende Internetanschluss für viele als Ausschlusskriterium gilt. „Eigentlich wäre nochmal eine große Infrastrukturmaßnahme wie in Nachwendezeiten nötig, um endlich alle Orte in Thüringen ans Glasfasernetz anzuschließen", findet der Bürgermeister.
Windpark-Planung bot Chance
Bereits seit zehn Jahren hatten die Reichstädter vergeblich versucht, einen Anschluss an die Datenautobahn zu bekommen, erklärt Hendryk Mäder. „Seit drei Jahren waren wir gemeinsam mit einigen Nachbargemeinden in einem Förderprogramm – aber ein Fortschritt war da bis heute nicht zu erkennen.“ Schließlich war es ein glücklicher Zufall, der die Probleme der Reichstädter fast über Nacht lösen sollte: „Als der Betreiber einer Windkraftanlage anfragte, ob er seine Stromkabel durch den Ort legen kann, haben wir unsere Chance gesehen und diese auch genutzt“, erinnert sich Henryk Mäder.
Die Zusage wurde mit der Auflage versehen, dass das Unternehmen ein vier Kilometer langes Leerrohr mit unter die Erde bringt, durch das ein Glasfaserkabel gezogen werden konnte. Die Reichstädter nahmen Kontakt zur Thüringer Netkom auf und nach einigen Berechnungen gab es grünes Licht: „Wir hatten eine technisch und kommerziell tragfähige Lösung gefunden, Reichstädt ohne Fördermittel und Eigenbeteiligung ans schnelle Internet anzuschließen“, erklärt Holger Peltsch von der Thüringer Netkom. Spätestens Anfang 2020 ist der Weg auf der Datenautobahn für die Reichstädter frei. Dank der beiden Kabelverzweiger in Reichstädt und dem Ortsteil Frankenau können die Einwohner künftig mit Geschwindigkeiten von bis 100 Mbit/s surfen – dazu erhält jeder Kunde bis zu zehn Telefonnummern.
„Bis zur Abschaltung hatten wir aber immerhin drei Telefonnummern, die fielen mit dem Ende von ISDN jedoch auch weg.“ Die Folge für Marcel Beier: Zwei Privathaushalte, der Betrieb und das Faxgerät mussten sich eine einzige Nummer teilen. Besonders ärgerlich auch, dass auf den neu gedruckten Geschäfts-Briefköpfen die Faxnummer nun ungültig war.